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Verbindung von Förder- und Unterrichtsplanung mit dem KinderDiagnoseTool KiDiT©

Lehrpersonen und Fachpersonen Schulische Heilpädagogik sind aufgefordert, die auf der Be-obachtung und Diagnose der Lernstände basierende Förderung einzelner Kinder mit der Un-terrichtsplanung für die Klasse zu verbinden. Nur so können sie der Heterogenität der Kinder im Kindergarten gerecht zu werden. Auf der Basis einer qualitativen Explorationsstudie wird im vorliegenden Text zusammenfassend aufgezeigt, wie das KinderDiagnoseTools KiDiT© für diese Verbindung des (förder-) diagnostischen Prozess mit der Unterrichts-planung im multiprofessionellen Teams kooperativ genutzt werden kann.

Von der Diagnose zu Förderung und Unterrichtsplanung
Für eine erfolgreiche Förderung und wirksamen Unterricht ist die Fähigkeit, den Lernstand des einzelnen Kindes sowie die Verteilung der Kinder innerhalb der Klasse zu erfassen, von fun-damentaler Bedeutung (Helmke & Weinert, 1997). Nur wenn Lehrpersonen adaptiv planen und handeln, können Kinder auf ihrem Niveau lernen, was den Lernerfolg beeinflusst (Hartmann, Hasselhorn & Gold, 2017). Im heutigen Kindergartenalltag sind zur Unterstützung im Umgang mit Heterogenität oft zusätzliche Fachkräfte tätig. In vielen Fällen ist die Fachperson Schuli-sche Heilpädagogik (in der Folge SHP) eher für die individuelle Förderplanung zuständig, wäh-rend die Lehrperson die Verantwortung für den Unterricht in der Gesamtklasse trägt. Aufgrund der inklusionsfördernden Tendenz, auch kooperativ zu unterrichten und die Förderung integra-tiv im Unterricht umzusetzen, wird Diagnostizieren als Grundlage für Förderung und Unterricht jedoch für beide Professionen relevant (Langner & Jugel, 2019; Kunz & Gschwend, 2011; Thommen, Anliker & Lietz, 2008).
Methoden einer dergestalt ausgerichteten pädagogischen (Förder-)Diagnostik sind in erster Linie Beobachtung (Braun & Schmischke, 2008; Leu, 2009, Walter-Laager, Luthardt & Pfiffner, 2017), Fehleranalyse (Rittmeyer, 2005), aber auch Gespräche (Lienhard-Tuggener, Joller-Graf & Mettauer Szaday, 2011) sowie Tests, Screenings und Fragebogen (Kany & Schöler, 2010). Offene Beobachtungen stellen eher die Eigenaktivität und Selbstbestimmung des Kindes ins Zentrum, während ein ko-konstruktivistisches Verständnis auch systematisierte Zugänge mit-einbezieht. Viernickel und Völkl (2009) schlagen vor, offene und strukturierte Verfahren zu kombinieren, um von den Vorteilen beider zu profitieren.
Diagnostik bildet die Grundlage der Förderung einzelner Kinder (Bundschuh, 2019). „Es geht um eine Weiterentwicklung und Unterstützung individueller und fach- und entwicklungsbezo-gener Lernprozesse“ (Braun & Schmischke, 2008, S. 41). Aufgrund der Komplexität der zu analysierenden Bedingungsgefüge ist ein hypothesengenerierendes und -prüfendes Vorgehen unabdingbar, um zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten zu antizipieren und das Lernsetting entsprechend anzupassen (Ricken, 2009). Diagnose und Intervention stehen in einem engen zirkulären Verhältnis (Matthes, 2007; Luder, 2011). Ausgangslage ist jeweils eine gemeinsame Einschätzung der Situation und eine Hypothesenbildung, aufgrund derer die Förderziele defi-niert bzw. die Förderbereiche benannt und der Förderplan formuliert wird. Anschliessend wird die Förderung koordiniert durchgeführt, reflektiert, dokumentiert, nach einer gewissen Zeit die Zielerreichung überprüft und davon ausgehend die Ziele aktualisiert oder erneuert (Dhaouadi, 2008, S. 156f.; Luder, 2011, S. 14ff.)
Die Nutzung von Diagnostik für die Unterrichtsplanung und -entwicklung sowie für die Steue-rung des Lehr-Lernprozesses ist mit dem Anspruch an Adaptivität wichtiger geworden (Sturm, Streit & Schiefele, 2019; Schrader, 2013). Dhaouadi verweist darauf, dass – angesichts der Forderung, dass jedes Kind Anrecht auf individuelle Förderung habe – „Förderplanung sich von der Unterrichtsplanung nur im Grad der Adaption, bezogen auf die Lernvoraussetzungen des einzelnen Lerners“ unterscheide (2008, S. 151). Dennoch kann die Verbindung von För-derplanung und Unterrichtsplanung herausfordern, da die Entwicklungslogik der Förderpla-nung auf die curriculare Logik der Unterrichtsplanung trifft (Luder & Kunz, 2018, S. 62). Um nachzuzeichnen, wie ein webbasiertes Tool genutzt werden kann, um die Verknüpfung von Beobachtung, Dokumentation, Förderung und Unterrichtsplanung zu unterstützen, fiel die Wahl auf das KinderDiagnoseTool KiDiT. Es ist gut erprobt und wird laufend evaluiert. Neben einer Basisversion stehen für bestimmte Bildungs- bzw. Lehrpläne angepasste Versionen zur Verfügung. Das Tool ermöglicht gleichzeitig kriterienorientiertes, strukturiertes und offenes, individuelles Beobachten. Offene, freie Notizen können in allen Bildungsbereichen festgehalten werden. Im strukturierten Bereich werden die Kompetenzen der Kinder anhand einer 5er-Ratingskala systematisch eingeschätzt. Die Items wurden statistisch auf ihre Validität und Re-liabilität geprüft und durch Expert*innen eingeschätzt (Walter-Laager & Pfiffner, 2012, S. 26ff.). Verschiedene Auswertungsfunktionen ermöglichen unterschiedliche Darstellungsformen der Gesamtgruppe sowie des individuellen Lernstands und dessen Verortung im Altersvergleich. Auch eignet das Tool sich für multiprofessionelle Kooperationszusammenhänge.

Strategien der Nutzung des webbasierten Tools für Förderung und Unterricht
Im Rahmen einer explorativen Studie wurden sechs Lehrpersonen und drei Schulische Heilpä-dagoginnen mit teilnehmender Beobachtung während eines Vormittags bei ihrem Einsatz von KiDiT beobachtet und anschliessend je einzeln interviewt. Die Interviews wurden inhaltsanaly-tisch zusammenfassend nach Kuckartz (2014) ausgewertet.
In der Praxis lassen sich unterschiedliche, auch professionsabhängige Muster beobachten, wie das Tool sowohl für die Förderung einzelnen Kindes, wie auch mit Blick auf den Unterricht in der Klasse genutzt wird. Tabellen 1 und 2 geben einen entsprechenden Überblick.


Tabelle 1: Nutzungsmuster offener Bereich


Tabelle 2: Nutzungsmuster strukturierter Bereich

Modell der kooperativen Förder- und Unterrichtsplanung
Die oben beschriebenen Praktiken werden nun zu einem Modell der web-basierten kooperati-ven Förder- und Unterrichtsplanung mittels KiDit zusammengeführt (Abbildung 1). Dieses ba-siert auf dem erweiterten förderdiagnostischen Zyklus nach Steppacher (2004).



Abbildung 1: Kooperativer förderdiagnostischer Prozess mit webbasiertem Diagnosetool

Ausgangspunkt ist eine Fragestellung (1) hinsichtlich des Lernens und/oder des Verhaltens eines Kindes. Fallgeberin kann sowohl die Kindergarten-Lehrperson wie auch die SHP oder eine andere Person (Eltern, andere Fachpersonen…) sein. Zur anschliessenden Problemana-lyse (2) halten die Lehrperson und die SHP ihre Beobachtungen im Unterricht sowie die SHP die Ergebnisse einer allfälligen Lernstandserfassung im Tool (strukturierter und offener Be-reich) fest.
Das gemeinsame Problemverständnis (3) baut sich kokonstruktiv im Gespräch zwischen der Lehrperson und der SHP auf. Als Gesprächsgrundlage dienen die toolbasierten Auswertun-gen. Wahrnehmungen werden verifiziert, teils auch kontrovers diskutiert und dadurch differen-ziert.
Aufgrund ihrer Fachkompetenz formuliert die SHP den Förderplan, die Lehrperson ergänzt (4). Die Planung der Durchführung (5) erfolgt kokonstruktiv im Gespräch zwischen der Lehrperson und der SHP. Diese wird auf der Basis des Tools den Eltern kommuniziert (5a) und das El-terngespräch wiederum im Tool dokumentiert. Die Förderung wird von der Lehrperson im Un-terricht und von der SHP im Unterricht und in Fördersequenzen realisiert (6) und von beiden je individuell dokumentiert (7). Da das Tool so auch einen Teil des mündlichen Austauschs erset-zen kann, ist es notwendig, dass die Lehrperson und die SHP je individuell im Tool die Einträ-ge der andern Person nachlesen (8) und bei Bedarf ergänzen (8a). Nach einem zuvor festge-legten Zeitraum findet im Gespräch zwischen den Beteiligten eine Evaluation der Förderung statt, die Einträge im Tool und die summativen Auswertungen des Tools bieten dazu die Grundlage (9). Aufgrund der Einschätzung des Förderverlaufes wird die Fragestellung ange-passt, ein neuer Zyklus beginnt (10) oder die Förderung wird beendet.
Primär Aufgabe der Lehrperson ist es, über die Beteiligung an den Förderprozessen einzelner Kinder hinaus den Unterricht zu planen, durchzuführen und auszuwerten. Wie die im Tool er-fassten Einträge für den Förderplanungs- und den Unterrichtplanungszyklus gleichzeitig nutz-bar sind, wird in Abbildung 2 dargestellt.



Abbildung 2: Verknüpfung von förderdiagnostischem Prozess mit Unterrichtsplanung

Ausgangslage der Verknüpfung ist die Dokumentation im Tool (7/a). Die Lehrperson reflektiert diese bezüglich ihrer Unterrichtsplanung (b), entnimmt Hinweise für Gruppenbildung, The-menwahl, Angebotsgestaltung, Hinweise für individuelle Förderung. Auf der Basis des Lehr-plans, des eigenen professionellen Wissens und aufgrund dieser Überlegungen plant sie die nächste Unterrichtseinheit (c). Der Unterricht wird durchgeführt (d) und relevante Beobachtun-gen werden dokumentiert (a). Diese sind Basis erneuter Unterrichtsplanung und können gleichzeitig für die Förderprozesse der einzelnen Kinder genutzt werden. Von Zeit zu Zeit er-folgt eine kokonstruktive Abstimmung von Förderung und Unterricht (e). Je nach Umsetzung des integrativen Modells wirkt die SHP ebenfalls in der Planung des gemeinsamen Unterrichts mit und ist deshalb bei den Schritten b, c und e auch involviert.

Fazit
Diese Praxiseinblicke zeigen mögliche Ansatzpunkte, wie das webbasiertes Diagnosetool Ki-DiT genutzt werden kann, um Förderung und Unterricht in der multiprofessionellen Zusam-menarbeit zu verflechten. So können die Kinder von einem professionellen Unterricht profitie-ren, in dem ihr Lernstand berücksichtigt und gleichzeitig die Gesamtheit von Unterricht im Blick behalten wird. Durch die arbeitsteiligen Aspekte der Zusammenarbeit können sowohl Lehrper-son wie SHP ihre je eigenen professionellen Kompetenzen und Zuständigkeiten zielgerichtet einbringen. Darüber hinaus führen das gemeinsam genutzte Tool und die kokonstruktiven Ge-spräche zu Austausch und gemeinsamer Weiterentwicklung, die über das hinaus geht, was eine Person alleine einbringen kann.

 

Literatur

Braun, D. & Schmischke, J. (2008). Kinder individuell fördern. Cornelsen Scriptor.
Bundschuh, K. (2019). Förderdiagnostik konkret : Theorie und Praxis für die Förderschwerpunkte Lernen, geistige, soziale und emotionale Entwicklung (2. Auflage). Verlag Julius Klinkhardt.
Dhaouadi, Y. (2008). Förderplanung und Förderpläne. In K.-H. Arnold, O. Graumann & A. Rakhkoch-kine (Hrsg.), Handbuch Förderung (S. 150-159). Beltz.
Hartmann, U., Hasselhorn, M., & Gold, A. (2017). Entwicklungsverläufe verstehen - Kinder mit Bil-dungsrisiken wirksam fördern: Forschungsergebnisse des Frankfurter IDeA-Zentrums. Verlag W. Kohlhammer.
Helmke, A. & Weinert, F. E. (1997). Bedingungsfaktoren schulischer Leistungen. In F. E. Weinert (Hrsg.), Psychologie des Unterrichts und der Schule (S. 71-176). Hogrefe.
Kany, W. & Schöler, H. (2010). Fokus: Sprachdiagnostik. Leitfaden zur Sprachstandsbestimmung im Kindergarten. Cornelson Scriptor.
Kuckartz, U. (2018). Qualitative Inhaltsanalyse : Methoden, Praxis, Computerunterstützung (4. Aufla-ge). Beltz Juventa.
Kunz, A. & Gschwend, R. (2011). Kooperation im Rahmen der Förderplanung. In R. Luder, R. Gschwend, A. Kunz & P. Diezi-Duplain (Hrsg.), Sonderpädagogische Förderung gemeinsam planen. Grundlagen, Modelle und Instrumente für eine interdisziplinäre Praxis (S. 105-128). Verlag Pestalozzianum.
Langner, A. & Jugel, D. (2019) ‘Ohne Verstehen kein pädagogisches Handeln – Diagnostik im Kon-text von Inklusion’, in A. Langner, M. Ritter, J. Steffens & D. Jugel (Hrsg.), Inklusive Bildung forschend entdecken (S. 133–150). Springer Fachmedien.
Leu, H. R. (2009). Beobachtung in der Praxis. In L. Fried & S. Roux (Hrsg.), Pädagogik der frühen Kindheit. Handbuch und Nachschlagewerk (2. Ausgabe, S. 232-242). Cornelsen Scriptor.
Lienhard-Tuggener, P., Joller-Graf, K. & Mettauer Szaday, B. (2011). Rezeptbuch schulische Integration. Auf dem Weg zu einer inklusiven Schule. Haupt.
Luder, R. (2011). Förderplanung als interdisziplinäre und kooperative Aufgabe. In R. Luder, R. Gschwend, A. Kunz & P. Diezi-Duplain (Hrsg.), Sonderpädagogische Förderung gemeinsam planen. Grundlagen, Modelle und Instrumente für eine interdisziplinäre Praxis (S. 11-28). Verlag Pestalozzianum.
Luder, R. & Kunz, A. (2018). Gemeinsame Förderplanung. In R. Luder, A. Kunz & C. Müller Bösch (Hrsg), Inklusive Pädagogik und Didaktik (S. 54-71). ProQuest Ebook Central https://ebookcentral.proquest.com.
Matthes, G. (2007). Förderdiagnostik und Förderplanung – ein Modell. In W. Mutzeck (Hrsg.), Förderplanung. Grundlagen – Methoden – Alternativen (S. 84-96). Beltz.
Ricken, G. (2009). Diagnostik und Förderung. In R. Hinz & R. Walthes (Hrsg.), Heterogenität in der Grundschule. Den pädagogischen Alltag erfolgreich bewältigen (S. 158-167). Beltz.
Rittmeyer, C. (2005). Kompendium Förderdiagnostik. Prinzipien, Methoden und Einsatzbereiche. Persen.
Schrader, F.-W. (2013). Diagnostische Kompetenz von Lehrpersonen. Beiträge zur Lehrerbildung, 31(2), 154-165.
Schrader, F.-W. & Helmke, A. (2001). Alltägliche Leistungsbeurteilung durch Lehrer. In F. E. Weinert (Hrsg.), Leistungsmessungen in Schulen (S. 45-58). Beltz.
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Sturm, T., Streit, C., & Schiefele, C. (2019). Pädagogische Diagnostik und Differenzierung in der Grundschule: Mathe und Deutsch inklusiv unterrichten. Utb.
Thommen, B., Anliker, B. & Lietz, M. (2008). Projektbericht. Unterrichtsbezogene Zusammenarbeit. Förderung von Kindern im gemeinsam verantworteten Unterricht von ambulant tätigen Heilpädagoginnen/Heilpädagogen und Regelklassenlehrpersonen. Pädagogische Hochschule Bern.
Viernickel, S. & Völkl, P. (2009). Beobachten und Dokumentieren im pädagogischen Alltag. Herder.
Walter-Laager, C. & Pfiffner, M. (2012). Beobachten, Beurteilen und Fördern im Elementarbereich und in der Schule. Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
Walter-Laager, C., Luthardt, J. & Pfiffner, M. (2017). Beobachten, Dokumentieren und Planen im Elementarbereich. https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/beobachtung-und-dokumentation/beobachten-dokumentieren-und-planen-im-elementarbereich

Prof. Dr. Bea Zumwald, 30.4.2021

PHSG
Institut Lehr-Lernforschung
Prof. Dr. Bea Zumwald